71% der Bevölkerung leiden in Ihrem Leben einmal an Kopfschmerzen. Diese 71% setzen sich zusammen aus
- ca. 38% Spannungskopfschmerzen (davon 3% chronisch),
- ca. 27% Migränekopfschmerzen und
- ca. 6% selteneren Kopfschmerzformen
Insgesamt entfallen also über 90% der Kopfschmerzerkrankungen auf die beiden primären Kopfschmerzformen (ohne bekannte Ursache) Migräne und Spannungskopfschmerzen. Häufig kommen die verschiedenen Kopfschmerzformen auch kombiniert vor. So haben z.B. viele Migränepatienten auch gleichzeitig Spannungskopfschmerzen.
Spannungskopfschmerzen finden sich etwas häufiger bei Frauen und bei Patienten mit positiver Familienanamnese.
Sekundäre, d.h. auf anderen Erkrankungen beruhende Kopfschmerzen sind wesentlich seltener, bei den meisten Patienten, die mit Kopfschmerzen einen Hausarzt aufsuchen, liegen keine ernsthaften Ursachen vor. Alleine schon durch die Befragung der Patienten können die verschiedenen Formen gut unterteilt werden. Die Befragung sollte beinhalten:
- Schmerzenqualität
- Zeitlich: seit welchem Alter, seit wann vermehrt, von Tageszeit abhängig, Dauer, Frequenz, Intervalle, Periodik
- Lokalisation: halbseitig, diffus, auf einen Bereich beschränkt, konstante Lokalisation oder wechselnden Charakter
- Intensität: pulsierend, hämmernd, pochend, dumpf, drückend, stechend, zuckend, tief, oberflächlich, Allgemeinbefinden eingeschränkt
- Auslöser: Kopfhaltung, Husten, Pressen, Nahrungsmittel, Medikamente, Lage abhängig (Stehen, Liegen), Licht, Wetterwechsel, Umwelteinflüsse, Menstruation, psychische Einflüssen
- Gibt es lindernde Faktoren: Medikamente, Dunkelheit, Ruhe, Liegen, Schlaf, Kaffee
- Begleitsymptome: Lichtscheu, Flimmern, sensorische (Miss-)Empfindungen, Übelkeit, Erbrechen, Herzklopfen, Schwindel, Ohrensausen, Ohnmacht, psychische Veränderungen, Rötung von Gesicht und Augen, Bewusstseinsstörungen, neurologische Ausfälle, Blutdruckschwankungen, Nasenlaufen, Tränen, Schwitzen, gehäuftes Wasser lassen
- Vorerkrankungen: Trauma von Kopf oder Halswirbelsäule; hoher oder niedriger Blutdruck; Erkrankungen von Augen, Ohren, Zähnen, Nasennebenhöhlen…; bekanntes Anfallsleiden, Meningitis; Stoffwechselerkrankungen; vegetative Erkrankungen/Störungen (Schlaf, Verdauung); Genuss- und Suchtmittel, Medikamente; psychische Komponenten: Nervosität, Angst, Depression, Überlastung, Erschöpfung; Lebensumstände, Tagesablauf, Arbeitsplatz und –atmosphäre
- Familienanamnese
Nervenkrankheiten, familiäre Kopfschmerzbelastung; bisher durchgeführte Kopfschmerzdiagnostik mit Ergebnissen; bisherige Kopfschmerzbehandlung: Medikamente / Schmerzmittel (Dosis, Dauer, Therapieerfolg); sonstige Therapien
Anhand dieser genauen Befragung können die meisten Kopfschmerzcharaktäre gut eingegrenzt werden, zudem sollte eine körperliche Untersuchung erfolgen, diese sollte folgende Bereiche umfassen:
- Allgemeinsymptome
Atemnot ja/nein; vermehrtes Schwitzen; Einflussstauung, Ödeme, Lymphknotenschwellungen, Hautveränderungen, Durchblutungsstörungen; Tremor, Alkoholgeruch, Temperaturerhöhung - Brustkorbuntersuchung
Herz- und Lungenauskultation, -perkussion; Herzgeräusche, -rhythmusstörungen, Emphysem, Lungenstauung - Blutdruckmessung beidarmig
(Leitlinie Hypertonie), Hyper-/Hypotonie, Pulsstatus, Seitendifferenz - Gefäßstatus (Halsarterien, Art. temporalis)
Verhärtung, Strömungsgeräusche - HWS und Nacken
Beweglichkeit, verhärtete Muskulatur - Gesicht, Rachen, Kopf
Kalottenklopfschmerz, Verletzungen, Hämatome, Entzündungen, Knochenveränderungen, Narben, Zahnstatus, Zahnprothese, Kauakt, NNH: Druck- oder Klopfempfindlichkeit - Augen
Bulbustonus (Betasten des Bulbus), Fundus (Augen-Hintergrundspiegelung), Visus (Fingerzählen); Erhöhter Augeninnendruck, Stauungspapille, hypertensive Retinopathie, Visusminderung - Ohren (Gehör) (z.B. durch Fingerreiben)
- Die neurologische Untersuchung sollte folgende Bereiche umfassen:
- Prüfung auf Meningismus
- Kernig, Lasègue,
- Hirnnervenaustrittspunkte
- Paresen, Strabismus, Nystagmus, Doppeltsehen, Anisokorie, Pupillenreaktionsstörung (Pupillenweite, Reaktion auf Licht, Konvergenz)
- Gesichtsfeld (Fingerperimetrie)
- Gesichtsfelddefekte
- Muskeltonus mit Seitenvergleich
- grobe Kraft (Passives Durchbewegen der Arme und Beine, Vorhalten der Arme mit supinierten Händen, frei gehaltenen Beine): Paresen, Kraftverlust
- Reflexe (Eigenreflexe, Bauchhautreflexe, Babinski)
- Seitendifferenz, Reflexverlust, Pyramidenbahnzeichen
- Koordination (Finger-Nasen-Versuch, Knie-Hacken-Versuch, Diadochokinese, Gang, Romberg-Versuch)
- Sprache
- psychischer Befund
- Bewusstseinslage, Orientierung, Denk-, Konzentrations- und Merkfähigkeit, Auffassungsgabe, Aufmerksamkeit, Antrieb, Stimmung, Emotionalität, Depression, Angststörung, Suizidalität, Schmerz- und Stressverarbeitungsstil
Kopfschmerzen sind zwar häufig, jedoch sind die Ursachen nachwievor meistens ungeklärt. Deshalb ist es wichtig, dass der Arzt durch genaue Befragung und Untersuchung alle bekannten Ursachen ausschließt, damit so schnell wie möglich die richtige Therapie ergriffen wird. Anhand obiger Auflistung soll Ihnen das Ausmaß dieser Krankenbefragung verdeutlicht werden. Die nächsten Berichte handeln über die verschiedenen Kopfschmerzcharaktäre!